von Birgit Schürmann
Der Gänsehaut-Moment
Dazu Bill Gates: Nicht nur arme Menschen sollten das hier erleben müssen. Nehmen wir an, Sie hätten im Publikum gesessen. Vielleicht in der ersten Reihe? Wann hätten Sie diesen Vortrag vergessen?
Der falsche Abgang des Steve Jobs
Gegen die malariainfizierten Stechmücken mutet der magische Moment von Steve Jobs Präsentation im Jahre 2008 eher harmlos an: Erst verabschiedete er sich mit einem falschen Abgang. Übersetzt aus der Theatersprache heißt das: Jemand geht von der Bühne ab, um sofort wieder zu kommen. Ein etwas in die Jahre gekommenes Stilmittel des Theaters. Mittlerweile übernommen von Rockstars, um sich Zugaben zu erheischen.
Zurück vom falschen Abgang während seines Vortrags, hatte Steve Jobs während einen braunen Din-A-4 Umschlag in der Hand. Heraus zog er das ultradünne MacBook Air. Das Publikum tobte beim dem Anblick, so ein dünnes und leichtes Notebook gab es bis dato nicht. Seitdem kennen wir alle das Bild von einem Notebook, das aus einem Umschlag lugt.
Ist das Begabung?
Es gibt Redner, die haben ein gutes Gefühl für den Rhythmus Ihrer Rede. Instinktiv steuern sie durch die Dramaturgie. Ich weiß nicht, ob Steve Jobs mit einem Regisseur zusammengearbeitet hat. Und wenn ja, wie sie lange sie diesen Moment vorbereitet haben. Eins ist sicher: Es hat sehr viel Zeit in Anspruch genommen.
Der sogenannte Gänsehautmoment gilt nicht umsonst als Königsdisziplin. Das absolute Vortrags-Highlight braucht eine gute Planung. Wenn es Ihnen gelingt, bleibt es unvergessen. Und Ihre Präsentation auch. Steve Jobs prägte den Begriff: One more thing und leitete damit sein Überraschungsei, sein Schmankerl der aktuellen Präsentationen ein. Sein Publikum fieberte dem Satz und dem Highlight gespannt entgegen.
Präsentieren Sie vor Entscheidern, die sich viele Präsentationen ansehen? Dann sorgen Sie dafür, dass Sie mit Ihrem tiefsinnigen oder dramatischen Moment herausstechen! Dafür müssen Sie kein Riesenspektakel während Ihrer Präsentation auf die Beine stellen. Klein, fein und emotional reicht aus. Was zählt: Der unvergessliche Moment sollte eine hohe Relevanz für Ihr Publikum haben. Er sollte Resonanz erzeugen und die Bedürfnisse der Zuhörer treffen.
Emotional ja, kitschig nein
Wenn wir emotional werden wollen, landen wir gern mal im Klischee. Achten Sie darauf, dass Ihnen das nicht passiert! Vermeiden Sie Kitsch. Ihr magischer Vortrags-Moment sollte auch nicht künstlich wirken. Er sollte unbedingt zum Thema passen, Ihre Informationen ergänzen und Ihrer Idee (und nicht in erster Linie Ihnen als Redner/in) dienen. Wenn Ihnen der unvergessliche Moment gelingt, regnet eh genug Lob auf Sie herab.
5 Ideen, wie Sie für Ihre Präsentation einen eindringlichen und außergewöhnlichen Moment schaffen:
1. Guck mal, was ich habe und was das kann
Holen Sie Requisiten hervor. Oder demonstrieren Sie die Vorteile Ihres Produkts. Sie müssen nicht so dramatisch werden wie Jill Bolte Taylor. Sie sprach auf der TED Konferenz über Ihren Schlaganfall. In Ihrer Hand hielt sie ein echtes Gehirn samt Rückenmark.
Auch einfache Requisiten können groß wirken: Richard Feynman war Physiker. Nobelpreisträger. Legendär machten ihn seine Vorträge und sein Gefühl für sein Publikum. Trockenes Wissen verstand er leicht und humorvoll zu erklären. Er war in der Untersuchungskommission der Challenger-Katastrophe. Er tunkte einen Dichtungsring in Eiswasser. Und demonstrierte eindrucksvoll die Folgen von Frost, die zum Absturz der Rakete geführt hatten.
2. Erzählen Sie die Geschichte Ihrer Idee
Seit Menschengedenken lieben wir Geschichten. Kinder lernen durch Geschichten die Welt kennen und verstehen. Spannenden Geschichten können wir uns einfach nicht entziehen: Archetypen von Geschichten ziehen uns seit Jahrtausenden in Bann.
Binden Sie Ihre Idee oder Ihr Wissen in eine tolle Geschichte ein. Sie wecken Bilder und Emotionen in Ihren Zuschauern. Bilder, Emotionen und Infos verbinden sich. Und verankern sich im Gedächtnis eines jeden Zuschauers.
Am stärksten sind Ihre eigenen Geschichten: Wie die Idee zu Ihrem Produkt oder Ihrer Dienstleistung entstanden ist. Wie sie sich entwickelt hat. Was alles in Ihrem Weg gestanden hat. Wer an Sie geglaubt hat. Wer nicht. Und welche Opfer Sie gebracht haben. Das ist ein guter Stoff für Ihren magischen Moment.
3. So oder so - Kontraste salzen Präsentationen
Wir alle kennen vorher – nachher Fotos. Bilder vom schönen Strand bevor und nachdem der Öltanker gekentert ist. Vor und nach dem Tsunami. Jedes Thema hat viele Möglichkeiten, Kontraste dramatisch gegeneinander zu stellen. Problem und Lösung. Richtig und falsch. Oder gut gegen böse. Ich habe einen Traum versus wie ist die Realität. Oder meine Sicht als Führungskraft im Gegensatz zu die Sicht meiner Mitarbeiter.
Nutzen Sie die Lücke, die zwischen den Kontrasten entsteht.
4. Das sieht so aus - Bilder prägen ein
Bilder sagen mehr als tausend Worte. Ja, es stimmt nach wie vor. Suchen Sie nach aussagekräftigen Bildern, die Sie mit Ihrer Idee, Dienstleistung, Ihrem Produkt oder Wissen in Verbindung setzen. Das Foto vom MacBook im Umschlag ist ein großartiges Beispiel. Unterstützt durch gerissenes Marketing kennt es jeder.
Oder visualisieren Sie etwas, was auf den ersten Blick nicht zu erkennen sind: Wie viel Öl steckt in der Herstellung eines doppelten Cheeseburgers? Die Menge abgefüllt in Flaschen vor sich zu sehen, ist beeindruckend.
5. Und das heißt für mich? Vortragsinhalte fühlbar werden lassen
Schockierende Statistiken gehen häufig mit riesigen Datenmengen einher. Ab einer gewissen Größe können wir sie für uns nicht mehr in Relation setzen. Wir haben kein Gefühl für die Menge. Um Zahlen erfahrbar zu machen, müssen wir sie runterbrechen. Um zu verstehen, was es für uns konkret bedeutet. Bei Umweltverschmutzung, Armut oder Hunger können Beispiele oder Zahlen, runtergerechnet auf den Einzelnen, schockierend wirken.
Bei einem Vortrag wurde mir mal vorgerechnet, wie viele Rinder pro Stunde in einem Schlachthof geschlachtet werden. Die Zahl hat bei mir ein Bild ausgelöst. Wenn ich im Restaurant vor der Speisekarte sitze, kommt es gern wieder hoch.
Wann platzt die Bombe?
Das richtige Timing spielt für Ihr Highlight eine wesentliche Rolle. Wann lassen Sie die Bombe platzen? Das falsche Timing kann Ihre Pointe verwässern. Walzen Sie Ihren unvergesslichen Moment zu lang aus, kann das Besondere verloren gehen. Unsichere Redner huschen gern durch den Moment. Und schon ist er verschenkt.
Wann ist der magische Moment am wirkungsvollsten? Zwei Augenblicke eigenen sich besonders gut:
1. Als krönender Abschluss Ihrer Präsentation oder Rede, als i-Tüpfelchen Ihres Spannungsbogens.
2. Zur Einleitung. Dann haben Sie sofort die volle Aufmerksamkeit Ihres Publikums.
Hingegen ließ Bill Gates seine Mücken nach etwa 5 Minuten Redezeit frei. Für seinen Vortrag passte der Zeitpunkt. Ach, und wenn Sie wissen wollen, ob die Moskitos tatsächlich malariainfiziert waren...nein, waren sie nicht. Nach knapp einer Minute entspannte Bill Gates seine Zuschauer (ich hätte das Publikum noch länger im Ungewissen gehalten, um die Spannung zu erhöhen).
Rhetoriktipp 1. Legen Sie kreativ los
Spielen Sie während der Vorbereitung auf Ihren magischen Moment kreativ mit Ihren Ideen. Auch wenn sie Ihnen anfänglich noch so absurd erscheinen. Probieren Sie alles mal aus. Und bleiben Sie in Ihrer Selbstkritik konstruktiv.
Rhetoriktipp 2. Das Publikum scannen
Ihr unvergesslicher Moment muss zu Ihrer Zielgruppe passen. Wie erzeugen Sie bei ihr Resonanz? Nicht jede Zielgruppe ist empfänglich für einen emotionalen Zuckerguss: Physiker sind beispielsweise eher mit Statistiken oder Requisiten zu beeindrucken.
Rhetoriktipp 3. Das richtige Timing ist Gold wert
Finden Sie den richtigen Zeitpunkt und die richtige Länge für Ihren Gäneshaut-Moment. Wie? Ausprobieren! Vor wohlwollenden Zuschauern - Ihre Kritiker können Sie später einladen!
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