von Birgit Schürmann
Lampenfieber - überwinden, bekämpfen oder was?
Weiß er sich aber zu helfen, geht er souverän mit seiner Nervosität um, dann honorieren es die Zuschauenden und freuen sich mit ihm, dass er den Kampf gewinnt.
Und, positiver Nebeneffekt: es steigt die Vermutung in seine (allgemeine) Kompetenz.
Toni Garrns Notfall-Strategie
2015 saß ich im Publikum, als das Männermagazin GQ die Männer des Jahres ausgezeichneten. Darunter auch den Designer Tommy Hilfiger. Das Top-Model Toni Garrn hielt die Laudatio auf ihn. So weit, so gut. Aber mitten in ihrer Rede verlor sie ihren Faden und wir hielten kollektiv den Atem an.
Aber Toni Garrn wusste sich zu helfen. Leise, aber doch für alle hörbar, murmelte sie vor sich her: XX habe ich schon gesagt, XY hab ich gesagt, Z auch…, ahhh und dann war er wieder da, ihr Faden. Das Publikum? Begeistert! Großer Applaus.
Auch ein Zettel wirkt professionell
Fazit: Selbst wenn Ihre Stimme zittert, Ihr Magen drückt oder Ihr Hosenanzug am Leib klebt, machen Sie sich keinen Kopf und lassen Sie Ihr Lampenfieber zu. Niemand qualifiziert Sie wegen Ihrer Aufregung ab. Niemand erwartet von einem Top-Model oder einer Führungskraft eines Stromanbieters, dass sie oder er eine perfekte Performance hinlegt.
Claudia Schiffer wurde 2017 ein Bambi verliehen. Ihre Dankesrede las sie vom Zettel ab. Klar, es wäre super gewesen, hätte sie frei gesprochen, aber es erwartet niemand von ihr. Es hätte uns eher verwundert. Es ist nicht ihr Job. Darin war sie absolut konsequent.
Mittleres Lampenfieber pusht Leistung
Und es gibt sie auch, für viele kaum vorstellbar, aber wahr: Menschen, die im Aufmerksamkeitsfokus aufblühen. Die sich genau dann auf dem Höhepunkt ihrer Leistung fühlen. Die den Moment geniessen, weil er ihre Aufmerksamkeit schärft. Die die Erregung, den Energieschub und die Klarheit Ihrer Gedanken lieben.
Seit Oktober 2022 ist Martin Borgmeier Long Drive World Champion. Long Drive Profis sind Golfer, die extrem weite Bälle schlagen (sein weitester Schlag: 390 Meter!!!). Er sagt: Wenn ich auf der Bühne stehe, die Fernsehkameras laufen, hinter mir das Publikum tobt, ich den Ball perfekt treffe und er weiter fliegt als der meines Gegners, das ist eine Gefühl, das man nicht kaufen kann und das süchtig macht.
Das Yerkes-Donson Gesetz
Bereits 1908 wurde übers Lampenfieber geforscht. Die zwei amerikanischen Psychologen Yerkes und Donson wollten die Abhänigkeit des Leistungsverlaufs von der Erregung erkunden. Sie fanden heraus, dass wir optimal leisten, wenn wir uns in mittlerer Erregung befinden. Laut dem Yerkes-Donson Gesetz besteht eine U-förmige Beziehung, bei sehr niedriger und bei sehr hoher Erregung wird die Leistung schlechter.
Der mittleren Erregungszustand bringts
Wie sorge ich dafür, im mittleren Erregungszustand zu bleiben? Mittlerweile nehme ich mein Lampenfieber als gegeben hin. Je besser ich vorbereitet bin, je mehr ich von meiner Performance, die ich gleich geben werde, überzeugt bin, desto entspannter bin ich. Sicher, Übung macht den Meister, je häufiger auch Sie im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, desto souveräner werden Sie und wissen, was Sie für eine gute Performance tun müssen.
Aufregung kanalisieren
Was empfehle ich außerdem?
- Lampenfieber zulassen
- Gute Vorbereitung
- Rituale
- Atemübungen
- Immer im Kontakt mit dem Publikum stehen
- Zeit lassen
- Notfallstrategien parat haben
- Feedback geben lassen
Rituale
Schaffen Sie sich Rituale. Vor und während Ihres Vortrags, Ihrer Präsentation. Rituale und sich wiederholende Vorgänge beruhigen und lenken von der Aufregung ab. Legen Sie sich eine Reihenfolge fest, angefangen von der Anfahrt, über die Wasserflasche bis zum Test technischer Hilfsmittel.
Rituale bringen drei Vorteile:
- Sie konzentrieren sich auf die Reihenfolge der Rituale statt auf Ihren inneren Zustand.
- Rituale sind Teil der Vorbereitung und minimieren die Gefahr von Pannen, die Sie aus Ihrem Konzept werfen können.
- Rituale reduzieren Ihre Angst vor unkalkulierbaren Zwischenfällen.
Atmen
Ich möchte Ihnen eine sehr einfache, aber wirkungsvolle Atemübung zur Vorbereitung ans Herz legen. Sie beruhigt und kanalisiert Ihre Energie. Sie werden klarer und fokussierter. Selbst im größten Trubel können Sie sich unbemerkt auf Ihre Präsentation vorbereiten.
- Atmen Sie durch die Nase ein und aus.
- Zählen Sie beim Ein- und beim Ausatmen jeweils bis 8.
- Beim Einatmen atmen Sie bis 4 ein und halten bis 8 Ihren Atem an.
- Beim Ausatmen atmen Sie ganz langsam, indem Sie innerlich bis 8 zählen, aus.
- Wiederholen Sie diese Übung vier Mal hintereinander.
Die Uhr des Lampenfiebers tickt anders
Vielleicht ist es Ihnen schon mal aufgefallen: Reden wir gestresst vor einem Publikum, tickt unsere innere Uhr anders. Meist rast der Zeiger - während dieselbe Zeit für das Publikum langsam vergeht.
Wie schade, denn ein getriebenes Tempo klaut Ihnen Wirkung.
Fazit: Nehmen Sie sich ruhig etwas mehr Zeit. Es mag sich für Sie in dem Moment vielleicht ungewohnt anfühlen, aber in time zu sein, Pausen zu setzen und die Pausen auch auszuhalten, wirkt nach unten spannender. Es steigert die Wirkung Ihrer Persönlichkeit und gibt Ihnen gleichzeitig die Gelegenheit, tief durchzuatmen und sich zu zentrieren.
Die verzweifelte Denkpause
Ich habe Redner und Rednerinnen zugesehen, die verzweifelte Denkpausen durchlitten, während wir Zuschauenden diesen Moment als den spannendsten Augenblick der gesamten Präsentation erlebten, ohne den eigentlichen Grund der Pause zu verstehen.
Viele fürchten sich vor einem Blackout und denken: Was ist, wenn mitten in der Präsentation auf einmal mein Wissen futsch ist? Ich kann Sie beruhigen, es stimmt nicht. Das Wissen und Können ist noch da - nur der Zugriff darauf bleibt ihnen für kurze Zeit verwehrt.
Und ja, es gibt tatsächlich schönere Momente im Leben, als gähnende Leere im Kopf!
Meist steigert unsere Angst vor einem Blackout die Wahrscheinlichkeit, dass ein Blackout eintritt. Meine Empfehlung: Bereiten Sie sich auch auf ein Blackout vor. Legen Sie sich witzige Sätze zurecht (warum nicht aufschreiben und vorlesen).
Humor in Kombination mit Selbstironie ist das beste Mittel, einer Lücke im Text zu begegnen. Und um obendrein Sympathiepunkte einzusammeln.
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