von Birgit Schürmann
Schlag auf Schlag: Zur Rhetorik des Muhammad Ali - Bertram Job zu Gast
Der Fame des Muhammad Ali
Birgit: Die Beisetzung von Muhammad Ali, dem berühmtesten Boxer aller Zeiten, ist gerade vorüber. Bertram Job war Studiogast des Senders Phoenix, der live die Feierlichkeiten aus Amerika übertragen hat. Und das nicht zufällig: Er ist Boxexperte, hat etwa ein Dutzend Bücher veröffentlicht, 5 davon zum Thema Boxen. Zum Beispiel: "Mein Box-Lexikon", gemeinsam mit Henry Maske und "Boxen", ein Grundlagenwerk, 420 Seiten dick, auch "die Boxbibel" genannt. Lieber Bertram, es gibt Stimmen, die behaupten, Muhammad Ali war als Rhetoriker noch besser als im Ring....
..das hieße, die Leistung und Bedeutung des Boxsportlers runterzuspielen! Muhammad Ali ist einer der besten Schwergewichtsweltmeister, die die Moderne erlebt hat und er hat nicht gewartet, bis andere das über ihn sage. Er hat diesen sogenannten Fame als sein eigenes, wichtigstes und größtes Projekt verstanden: Er hat gemerkt, er muss selber etwas dafür tun und kann nicht darauf warten, bis andere ihn zu irgendetwas einladen.
Ali hat sich inszeniert, er war egozentrisch, ungerecht und unverschämt. Er hat unglaublich viel über sich selbst gesagt und hat eine Menge Reporter fast arbeitslos gemacht, aber im Endeffekt hat er sich damit inseriert und das Entscheidende daran war: Er konnte das mit seiner Leistung bestätigen!
Wenn man ankündigt: Ich werde der größte Champion aller Zeiten sein!, Ich werde Sonny Liston schlagen! oder Ich werde George Forman schlagen! und schafft das dann nicht, dann ist man ein Großmaul.
Wenn man es aber schafft und wirklich beweist, dann ist man Muhammad Ali!
Die passenden Momente für coole Sprüche wittern
Birgit: Was macht seine Rhetorik so besonders? Was unterscheidet sie von anderen Boxern?
Er war konkreter und klarer in seiner Diktion. Er ist unbescheiden aufgetreten, das hat er sich gut überlegt und inszeniert. Er konnte improvisieren und hat mit einer unglaublichen Geschwindigkeit gesprochen - ähnlich wie er im Ring für einen Schwergewichtler unheimlich schnell gewesen ist. Das gibt es sehr selten, dass sich jemand mit einem Gewicht von 95-102 Kilogramm so schnell und gut bewegt.
Das hat alles zueinander gepasst und sich zu einem Gesamtkunstwerk addiert.
Zur Rhetorik gehört auch, dass man sich durchsetzt. Nicht nur elegant zu sein und gut rüberzukommen, sondern auch, sich Vorteile zu verschaffen. Gegenüber dem Auditorium und anderen Personen, von denen man sich herausgefordert fühlt.
Auch nach dem Kampf sollen Boxer erklären, warum sie gewonnen haben oder warum es nicht gereicht hat. Das sind immer wieder Gelegenheiten für Boxer und auch für andere Sportler, in denen sie ihre Rhetorik üben und verbessern können. Muhammad Ali hat diese Chancen vielleicht besser begriffen als 95% seiner Berufskollegen und hat wunderbare Zitate hinterlassen.
Das poetische Großmaul Muhammad Ali
Birgit: Einerseits war er ein Großmaul und andererseits soll seine Rhetorik sehr poetisch gewesen sein? Wie geht das zusammen?
Boxer möchten immer ausdrücken, dass sie siegesgewiss sind. Wenn man sich länger mit Boxen beschäftigt, versteht man, dass diese Menschen im Ring ein gesundes Verhältnis zu präpotenten Gesten entwickeln müssen.
Wenn ich in der Zukunft einen Termin mit jemanden habe, der genauso gut trainiert hat, wie ich, vielleicht sogar noch besser - im Endeffekt weiß ich das gar nicht genau - habe ich eine Grundangst. Ich habe trotz allem Selbstzweifel. Das hat jeder Sportler und das haben auch Boxer.
Ich muss das als Boxer mehr als andere Sportler zurückdrängen, weil ich sonst nicht erfolgreich sein kann: Ich werde physisch bestraft, physisch erniedrigt und ich werde im wahrsten Sinne des Wortes bis auf die Knochen blamiert, wenn das nicht klappt, was ich da vorhabe.
Also lege ich mir ein Ego zu, das mir und anderen vorspielt: Ich bin der Beste!
Das brauchen alle Boxer und Ali hat es vielleicht nur auf die Spitze gebracht, als er schon als Cassius Clay gesagt hat: I am the greatest!
Ali war witzig und hat nicht so platt argumentiert wie andere Boxer. Vor dem Kampf mit Ernie Terrell hat er gesagt: After we defeat Ernie Terrell, he will get nothing, nothing but hell! Das hat Rhythmus, Reim, ein gewisses Niveau und ist gleichzeitig Entertainment. Das war etwas, was man in dem Medienzeitalter, in das Ali Muhammad hineingekommen ist, brauchte: Plötzlich war da jemand, der optisch und akustisch einiges hermachte.....
Oder beispielsweise vor dem ersten Kampf gegen Jo Frazier: Joe Frazier will come up smoking, but I will be packing and pocking!. Das hatte Witz, das war innovativ und das hatte man vorher nicht erlebt. Das wirkte sehr individuell und frech!
Die Sage Muhammad Ali in Gang bringen
Birgit: Wann hat er das vorbereitet? Das waren ja meist gereimte Verse? Wann hat er denn die Zeit gefunden, solche gereimten, rhythmischen Verse zu schmieden?
Es gibt in jedem Trainingscamp freie Zeit. Es gibt Tage, da wird das Training unterbrochen, man trainiert nicht ununterbrochen.
Vielleicht hat Ali auch härter an seiner Rhetorik gearbeitet. Zu dieser harten Arbeit gehört, sich Dinge selbst einfallen zu lassen. Sich zu inszenieren und dafür zu sorgen, dass Reporter so gefüttert werden, dass sie diese Dinge verbreiten.
Die Reporter fanden es witzig und so hat Ali dafür gesorgt, dass die Sage Muhammed Ali in Gang kam und dass er nicht übersehen oder überhört wurde. Die gereimten Verse hat er selber gemacht, aber auch jeder in seinem Camp durfte dazu beitragen - wenn etwas rhetorisch gut war, so hat Ali es vorgetragen. Er hat es behalten und exakt im richtigen Moment zur Geltung gebracht: Das war sein genuines Talent!
Der Erste sein
Birgit: Seine Verse klingen ähnlich wie Rap oder Poetry-Slam?
Man kann Ali als Vorläufer von Rap ansehen, was die Rhythmik seiner Verse angeht. Ebenfalls als Vorläufer von Poetry-Slam, in dem zum Teil stark rhythmisierte Vorträge gehalten werden, in denen jemand aggressiv, schnell und witzig Dinge vorträgt, die uns beschäftigen.
Sicherlich hat das auch mit schwarzer Kultur zu tun, mit schwarzer Performance und der Art, sich auszudrücken. Das geht sicher auch auf Alltagserfahrungen zurück. Wenn man in bestimmten Vierteln in Amerika wohnt und man ist in einer überwiegend schwarzen Neighborhood aufgewachsen, dann gibt es eine Phase - bevor man sich physisch auseinander setzt - in der man sich gegenseitig bedroht und sich behaupten muss. Sich rhetorisch behaupten muss.
Aber nicht im akademischen, intellektuellen Sinne, sondern man muss der Erste sein, der loslegt und der Erste, der was Witziges sagt. Wenn man dann die Zustimmung und den zustimmenden Applaus, sowie das Gelächter seiner Ohrenzeugen bekommt, hat man einen Vorteil gegenüber den anderen!
Selbstbewusstsein in Worte gießen
Birgit: Wo hat Ali seine Rhetorik gelernt?
Ali hat zwar die Highschool abgeschlossen, aber der Abschluss war - höflich ausgedrückt - mäßig. Muhammad Ali war bei allem, was er später erreicht hat, kein geborener Intellektueller und kein wirklicher Akademiker. Er war sehr self-made, sehr clever und hat intuitiv die richtigen Entscheidungen getroffen.
Er hat sich seine Rhetorik zum Teil abgeguckt, zum Teil erarbeitet und wie ein Musiker verschiedene Einflüsse zusammengesetzt und verwandelt in etwas einzigartiges: In Muhammad Ali!
Birgit: Hat Ali Dich inspiriert, haben Boxer Dich inspiriert, in ihrer Rhetorik oder ihrer Art des Auftretens? Was gefällt Dir daran?
Mich hat es beschäftigt, wie man Formen finden kann, Selbstbewusstsein in Worte zu gießen. Das hat mich ermutigt, vielleicht nicht zu bescheiden aufzutreten. Es gibt in der deutschen Kultur Erwartungen, die an alle Menschen herangetragen werden: Sei demütig und erzähle nicht von Dir selber.
Boxer sagen uns: Doch, wenn wir etwas leisten und wenn wir von uns überzeugt sind, können wir für uns selber einstehen!
Wir können uns artikulieren, wir können unsere Sache vorbringen, wir dürfen über uns selber reden und das ist nicht grundsätzlich unanständig. Vor allem, wenn man was zu sagen hat, kann man ruhig ein bisschen giftig sein!
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