von Birgit Schürmann

Von Mord und Totschlag - die Rhetorik des Strafverteidigers

Mein Interview mit dem Strafverteidiger Dr. Karl Haas über Rhetorik im Strafverfahren.

Dr. Karl Haas, Sie sind seit über 20 Jahren Strafverteidiger mit einem vollen Terminkalender. Ihre Kanzlei ist bekannt durch deutsch-niederländische Straffälle und Drogen, Mord und Totschlag sowie das Rotlichtmilieu sind ihr Alltagsgeschäft. Und kürzlich waren Sie bei: Sex, Drugs and Rock´n´roll?

Ja, das ist eine Fachtagung für forensische Psychiatrie und das hat natürlich auch mit dem Strafrecht zu tun. Psychiater und Psychologen haben eine andere Kommunikation als wir Strafjuristen.

 

Birgit: Was unterscheidet die Kommunikation von Psychiatern und Psychologen von den Strafjuristen, was haben Strafjuristen für eine Sprache und was unterscheidet sie von anderen Juristen?

Das Strafverfahren lebt von der mündlichen Hauptverhandlung. Da gibt es natürlich verschiedene Disziplinen: Wir haben einmal Juristen, die mehr streng subsumierend einen Sachverhalt vor Augen haben. Psychiater und Psychologen sehen mehr den Menschen im Mittelpunkt.

Das Strafverfahren unterscheidet sich von anderen Verfahren, zum Beispiel von einem Zivilverfahren oder einem Verkehrsunfall. Strafjuristen haben das mündliche Verfahren. Im Zivilverfahren bezieht man sich hauptsächlich auf Schriftsätze.

 

Birgit: Wie bereiten Sie die Hauptverhandlung und Ihr Plädoyer vor?

Dazu gehört zunächst einmal ein umfangreiches Aktenstudium. Gutachten müssen durchgelesen werden und man holt sich vielleicht auch den Rat eines externen Sachverständigen ein. Entscheidend sind aber auch die Gespräche mit dem Mandanten: Wenn er sich im Gefängnis befindet, muss man dort hin fahren und man braucht vielleicht noch einen Dolmetscher.

Dazu gehören auch Befragungen von Zeuge. Nicht das man in der Hauptverhandlung überrascht ist, wenn der eine oder andere Zeuge, den man hier als Entlastungszeugen benannt hat, auf einmal was ganz anderes sagt.

In der Hauptverhandlung selber mache ich mir eine Mitschrift. Wichtige Punkte markiere ich und notiere sie mir für das Schlussplädoyer.

Gute Vorbereitung heißt aber auch: Eine gute Mitarbeit des Mandanten!

 

Birgit: Wie bauen Sie Ihr Plädoyer auf?

Das Plädoyer ist das Schlussstück der mündlichen Verhandlung. Am Ende der Beweisaufnahme hält zunächst der Staatsanwalt sein Plädoyer. Danach bin ich als Strafverteidiger dran. Ich fasse eine - möglicherweise über mehrere Tage gehende Hauptverhandlung - zusammen.

Danach kommt die Beweiswürdigung. Ich mache deutlich, wo ich mit meiner Beweisführung von den Ergebnissen der Staatsanwaltschaft abweiche. Dann kommt die rechtliche Beurteilung: War es wirklich ein Mord, war es vielleicht nur ein Totschlag? Das sind wichtige rechtliche Fragen, die an dieser Stelle geklärt werden. Die neueste Rechtsprechung wird einbezogen.

Schließlich kommt die Ausführung zu den Rechtsfolgen. Das heißt: Freispruch oder eine angemessene Bestrafung. Welche Nebenfolgen gibt es? Soll das Vermögen eingezogen werden?

 

Birgit: Inwieweit steht das Strafmaß eines Mandanten im Zusammenhang mit den rhetorischen Fähigkeiten eines Verteidigers?

Ich denke, hier stehen die Sachargumente im Vordergrund. Allerdings müssen die vernünftig transportiert werden. Und da muss der Verteidiger auf rhetorische Kniffe zurückgreifen.

 

Birgit: Versucht man als Verteidiger Emotionen beim Gericht auszulösen?

Ich würde sagen, hier kommt es auf den Einzelfall an. Grundsätzlich gilt, dass Emotionen nicht in den Strafprozess hineingehören. Aber es gibt natürlich besondere Situationen. Wenn eine Bestrafung des Mandanten schwere Folgen für die Familie hätte, dann ordere ich die Familie in den Gerichtssaal. Wenn dann die Frau und die Kinder im Gerichtssaal sitzen, verweise ich im Plädoyer auf die schwierige familiäre Situation meines Mandanten.

 

Birgit: Wird man als Verteidiger dann auch mal theatralisch?

Hier ist es natürlich anders, als in einem Gerichtsverfahren, dass man im Fernsehen sieht. Es gibt bei uns keinen Verteidiger oder Staatsanwalt, der mit wehender Robe durch den Gerichtssaal läuft. Andererseits müssen wir hier auch mal Akzente setzen und einiges deutlich machen. So hatte ich vor kurzem die Fragen zu klären, was in einer Minute alles geschehen kann. Ich habe in meinem Plädoyer kurz inne gehalten und auf die Uhr geschaut. Wir alle waren überrascht, wie lange eine Minute dauern kann.

 

Birgit: Wie schaffen sie das, dass Sie die Emotionen, die im Laufe eines Prozesses hoch kochen, von sich fern halten?

Das ist in der Tat manchmal nicht einfach. Man hat einmal den Mandanten, der vielleicht gestanden hat, dass er eine Sexualstraftat begangen hat oder dass er jemanden umgebracht hat. Das lässt einen nicht kalt.

Andererseits regt man sich über den Staatsanwalt auf, der keinem Argument zugänglich ist oder über einen Zeugen, der permanent lügt, das sich die Balken biegen. Hier gibt es nur eins: Man muss das ansprechen!

 

Birgit: Gibt es so etwas wie eine böse oder harmonische Verteidigung?

Da sprechen Sie die Situation der Konfliktverteidigung, der kooperativen Verteidigung oder der harmonischen Verteidigung an. Wenn der Angeklagte die Tat bestreitet, dann ist manchmal die sogenannte Konfliktverteidigung angezeigt. Hier stellt man Anträge: Befangenheitsanträge oder Beweisanträge gegen das Gericht. Man versucht das Gericht in eine bestimmte Richtung zu lenken.

Hat der Mandat allerdings die Tat gestanden, ist es meistens angezeigt, sich kooperativ zu verhalten, um eine angemessene milde Strafe zu erreichen.

 

Birgit: Wo haben Sie Ihre Rhetorik gelernt?

Es ist bedauerlich, dass es in der universitären Ausbildung dazu kaum Gelegenheiten gibt. Man beschäftigt sich mit vielen Fällen, wälzt dicke Bücher, aber diese praktischen Sachen bekommt man nicht vermittelt. Zwar gibt es in der Referendarausbildung hier und da einen Kurs, auch Fortbildungsveranstaltungen helfen weiter, aber ich persönlich habe es learning by doing, das heißt, in der Gerichtsverhandlung gelernt.

Ich habe mir angeschaut, wie andere plädieren. Wie Staatsanwälte plädieren, wie andere Kollegen plädieren und habe mir gesagt: Das ist okay, das übernehme ich, oder das auf gar keinen Fall!

 

Birgit: Haben Sie eine bestimmte Reihenfolge Ihrer Argumente?

Ich fange meistens mit einem starken Argument an und höre auch mit einem starken Argument auf. Gerade die Schlussworte des Plädoyers bleiben im Kopf hängen! Wenn der Staatsanwalt zuvor auf eine hohe Verurteilung plädiert hat, muss ich natürlich darauf eingehen, auch wenn ich selber einen Freispruch erreichen möchte.

Ich mache Ausführungen dazu, dass hier besondere Lebensumstände eingreifen, dass hier eine milde Strafe gegen den Mandanten zu verhängen ist. Zum Schluss komme ich zu dem, was ich vertrete. Das ist das, was im Kopf des Gerichts hängen bleiben soll: Freispruch!

1 Kommentare

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Kommentar von Klaus Krebs |

Ich habe selten so klar strukturierte Antworten von einem Strafverteidiger gelesen. Es ist eine Freude die Aussagen von Dr. Karl Haas über Rhetorik im Strafverfahren durchzugehen. Sein Hinweis, dass man diese rhetorischen Elemente in die Ausbildung mit aufnehmen müsste, sollte unbedingt an unsere Universitäten herangetragen werden.

Antwort von Birgit Schürmann

Hallo lieber Herr Krebs,

vielen Dank für Ihren Kommentar!