von Birgit Schürmann

Wie Sie Ihrer Stimme mehr Ausdruck verleihen

Mein Interview mit Uwe Schürmann, Lehrlogopäde, Sprecherzieher am Theater, Stimmtrainer und Autor. Wir sprechen darüber, wie Sie mehr Facetten Ihrer Stimme entwickeln und warum die Stimme im Kopf beginnt.

 

Unsere Stimme ist unser Fingerabdruck

Birgit: Kann ich an meiner Stimme etwas ändern?

Unsere Stimme ist wie unser Fingerabdruck, sie ist einzigartig - man sagt auch Voiceprint dazu. An unserer Stimme kann man uns - im Vergleich zu wem auch immer auf der Welt - identifizieren. Insofern haben wir ganz viele unveräußerliche Anteile und wir haben auch viele Dinge, die wir verändern können.

Wenn ich zum Beispiel meine Zähne aufeinander presse, dann klingt meine Stimme anders. Oder wenn ich jetzt meine Lippen sehr gespannt halte - ein bisschen schmallippig spreche - dann klingt es auch wieder anders. Oder wenn ich die Stimme presse oder erhöhter Sprechstimmlage spreche. Wir können die Tonhöhe verändern, wir können die Melodie verändern und bestimmte Anteile des Klanges verändern.

Natürlich auch Dinge, die nicht unmittelbar Stimme sind, wie das Tempo oder Pausen. Oder ich kann legerer artikulieren, dann kannst Du mich ja sicher auch noch verstehen. Nur: Ob das so richtig bequem ist und wenn noch Störschall dazu kommt, dann verstehst Du mich wahrscheinlich nicht ganz so gut. An all diesen Schräubchen kann man drehen.

 

Mehr Facetten unserer Stimme entwickeln

Birgit: Wenn ich an meiner Stimme arbeite, bleibe ich dann noch ich selber und authentisch?

Wir sprechen im Alltag in ganz unterschiedlichen Facetten. Wenn ich als Vater mein Kind abends ins Bett bringe und eine Geschichte erzähle, versuche ich eher, beruhigender zu sprechen: Ein bisschen tiefer, ein bisschen weicher, ein bisschen langsamer und ich mache mehr Pausen. Will ich aber meinem Kollegen mal eben sagen: Kannst Du mir mal eben schnell das geben, ich brauche es ganz dringend!, dann ist meine Stimme höher und ein bisschen gepresster.

Solch unterschiedliche Facetten gehören zu unserem Alltag. Unsere verschiedenen Sprechrollen und die verschiedenen Situationen locken aus uns unterschiedliche Stimmfarben und Lautstärken hervor. Und das sind ja trotzdem alles wir. Die meisten, die ins Stimmtraining kommen, kennen das und sind auch so flexibel. Aber sie sind sich ihrer verschiedenen Facetten nicht bewusst und setzen manche Facetten, die sie zur Verfügung hätten, in bestimmten Situationen nicht zweckdienlich ein.

Also sollte man erst einmal überprüfen: Was habe ich für Möglichkeiten? Wie hoch und wie tief komme ich? Wie laut kann ich sein? Und dann überprüfen: In welchen Situationen rede ich auch schon so und warum tue ich es nicht in dieser bestimmten Situation? Das könnte ich doch mal probieren!

Das ist ein spannender Prozess: Wie jemand das genau in seiner Biografie entwickelt hat, das ist völlig unterschiedlich.

Warum ich das sage? Die verschiedenen Facetten, die jemand sowieso schon praktiziert, von denen würde er doch sicher sagen: Ja klar, das bin ich. Das bin ich abends, wenn ich mein Kind ins Bett bringe, das bin ich beim Bäcker, bei der Arbeit oder das bin ich beim Sport, beim Stress oder bei Ruhe. Das bin ich ja alles ich!

Das sind völlig unterschiedliche Arten, die Stimme zu gebrauchen. Wenn ich noch eine zusätzliche Facette entwickle und mich damit anfreunde, so dass sie mir zur zweiten Natur wird, dann ist das auch ein authentischer Ausdruck von mir.

 

Achtsamkeit und Stimme

Birgit: Habe ich das richtig verstanden: Du bombardierst die Teilnehmer in Deinen Seminaren nicht mit verschiedenen Übungen, sondern leitest sie an, durch Achtsamkeit auf den alltäglichen Gebrauch ihrer Stimme eine kontinuierliche Verbesserung herbeizuführen?

Ja, das stimmt. Ich habe in meinen Seminaren ein Übungsrepertoire zur Verfügung, aber ich vermeide, Leute damit zu bombardieren.

Ich glaube auch nicht, dass es die EINE Top-Übung gibt, es gibt den Status quo, etwa die Tonhöhe sowie die Melodie und gibt es für diese bestimmte Situation etwas, was besser wäre: Ein bisschen höher oder ein bisschen tiefer. Meistens ist es tiefer etwas besser.

Möglicherweise kann das jemand spontan erreichen, das muss man nicht üben. Die Übung besteht dann eher darin, sich immer wieder neu dazu zu bringen, diese günstigere, zweckdienlichere Art der Stimme wirklich zu praktizieren, obwohl ich es anders gewohnt bin.

Diese Übungen haben sehr viel mit Achtsamkeit zu tun.

Ich werde mir selbst, meiner Stimme und meiner Art zu sprechen, bewusst. Dann kann ich im Nachhinein sagen: Ah, da war ich wieder ein bisschen höher mit meiner Stimme, jetzt versuche ich mal, ein bisschen tiefer zu starten.

Also eher ein Modellieren und nicht die EINE Übung machen. Es gibt ein paar Übungen, die kann man als Geläufigkeitstraining nutzen. Oder zum Einstimmen, wenn ich weiß: Gleich habe ich ein Telefonat oder einen Vortag.

 

Die Stimme beginnt im Kopf

Birgit: Wenn Menschen Ihren Auftritt planen, wie können sie sich optimal einstimmen?

Wir können schon sehr viel im Vorfeld tun. Ich sage meinen Semiarteilnehmern und Coachees: Die Stimme beginnt im Kopf. Sie entsteht im Kehlkopf, aber die Art und Weise, wie ich mich wahrnehme, die Situation wahrnehme, mein Gegenüber wahrnehme und wie ich mich dem zuwende, ist eine ganz entscheidende Geschichte.

Vielleicht habe ich eine große Ambivalenz - weil ich reden will oder sogar muss und fühle mich dabei nicht so sicher - dann drückt sich das meistens, ohne dass wir es merken, in der Stimme aus.

Insofern ist es wichtig, sich klar zu machen: Ist dieser Raum klein oder groß, sitzen mir die Leute fast schon auf dem Schoß oder sind sie 10 Meter entfernt - also wirklich zu gucken und zu spüren!

Und dann auch wirklich zu den Leuten sprechen: Nicht mit dem Blick abschweifen, auch nicht anstarren, sondern sich, wie in einem normalen Gespräch, angucken und in die Augen schauen.

Das ist eine sehr gute Einstimmung auf ein Gespräch oder Vortrag. Unser Körper ist das Instrument für unsere Stimme. Wenn ich mich zusammen kauere, meinen Nacken und mein Gesicht anspanne, dann sind auch die Artikulationsmuskeln fester und der Atem geht nicht so gut. Wenn ich etwas aufrechter bin, wenn ich lockerer in den Schultern bin, wenn ich etwas breiter und weiter fühle, etwas mehr Raum einnehme, dann ist das, technisch gesehen, eine wunderbare Voraussetzung für eine günstigere Stimme...

 

Atem und Stimme

Birgit: ...genau, dass ich mich mit meinem ganzen Körper, mit meiner Stimme und auch meiner Körpersprache darauf einstelle, habe ich jetzt 300 oder nur 10 Menschen vor mir...

Ja, man kann viele Leute vor großen Runden sehen und die wirken so, als ob sie nur für eine Person sprechen. Der Atem ist auch ein wichtiger Punkt: Wir können nur mit unserer Ausatmung Stimme produzieren.

Insofern ist es hilfreich, sich klarzumachen, wie ist mein Atem?

Wenn ich schon kurzatmig bin, eine hohe Atemfrequenz habe und mit halber Schnappatmung und gehetzter Stimme anfange zu reden, dann kann das nicht gut enden! Meistens ist es hilfreich: Sich zu sammeln, den Atem zu beruhigen und in den Bauch zu atmen. Wenn man die Gelegenheit dazu hat, kann man seine Hand auf den Bauch legen und spüren: Fließt mein Atem dort hin? Oder heben sich die Schultern und der Atem fließt unter das Brustbein?

Beim Sprechen ist es auch wichtig, dass ich nicht zu lange Sätze ohne Punkt und Komma aneinander pappe und klebe, ohne dazwischen zu Luft zu kommen. Irgendwann wird es für den Zuschauer unangenehm und für mich selber auch und dann kommt es zu einer Schnappatmung.

Wichtig ist, dass ich zwischen diesen kurzen Sätze kleine Pausen setze und wenn ich in dieser kleinen Pause meinen Mund öffne und leicht offen halte, dann kann die Luft völlig unauffällig hineinströmen. Das stört mich nicht und ich komme weder in ein Atemdefizit, noch habe ich zuviel Luft, die ich dann nicht mehr managen kann.

1 Kommentare

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Kommentar von Marcus |

Eine tolle Zusammenfassung ! Sehr inspirierend! Danke!

Antwort von Birgit Schürmann

Danke:))!